Kinematik
...wie sich Körper bewegen
Die Kinematik beschreibt Bewegungen in Raum und Zeit. Bewegungsbahnen werden sichtbar. Die Sterne beschreiben Bewegungsbahnen. In meiner Forschung habe ich die Bewegungsbahnen von Neugeborenen und Kleinkindern angeschaut und das entdeckt, was ich heute Urbewegung nenne.
Neugeborene
Von den Bewegungsbahnen der Hände und Füße Neugeborener konnten Phasen von Zentrierung und Expansion abgelesen werden. Zentrierungsphasen zeigten sich beispielsweise, indem Hand- und Fußbewegungen gemeinsam vom Körperzentrum ausgingen und gemeinsam dort wieder endeten. Vergleichbar der „sicheren Basis“ aus der Bindungsforschung, zeigten Hände und Füße ihre „Homebase“ am Körperzentrum. In Expansionsphasen war ihr „zu Hause“ am Außenrand ihres Bewegungsraumes. Hände und Füße weilten die überwiegende Zeit ganz außen und begannen ihre Bewegungsabfolgen gemeinsam dort und endeten dort wieder gemeinsam, um auszuruhen. Das Schwingen umfasst also den ganzen Körper und den Raum, der den Körper der Babys umgibt. In der biodynamischen Osteopathie wird ein vergleichbares Phänomen mit den Begriffen „Primäre Respiration“ und „fluide Gezeiten“ beschrieben. Dies ist metaphorisch so vorstellbar, als wenn Körper und umgebender Raum ganz langsam atmen, oder sich Gezeitenströme zwischen Zentrum und Peripherie bewegen würden wobei hier keine Luft oder Flüssigkeiten strömen.
Über diese Zentrierungs- und Ausdehnungsphasen hinaus habe ich bestimmte Zeitphasen entdeckt, in denen die Bewegungen der rechten und linken Hand sowie des rechten und linken Fußes zeitlich so aufeinander abgestimmt waren, wie die Instrumente eines Orchesters beim Spielen einer Sinfonie. Der Umkehrpunkt einer Hand oder eines Fußes zwischen den Ein- und Auswärtsbewegungen gab den Takt an, und alle anderen Umkehrpunkte ordneten sich vergleichbar zu Noten in einem Takt mit ganzen, halben, Viertel- und Achtelnoten ein. Diese „Kompositionen“ zeigen eine zeitliche Koordination der Bewegungen, die unseren Verstand übersteigt. Kein Mensch könnte je solche Bewegungsfolgen einüben, wie sie bei Neugeborenen zu beobachten sind. Wesentlich bei der harmonischen Koordination der Bewegungen ist die zeitliche Abstimmung: Synchrone Bewegungen und Bewegungen im Verhältnis von eins zu zwei.
Kleinkinder
Dieses Gespür ist bei Neugeborenen und bei Kleinkindern auf eine zweite Weise zu finden: Wenn Kleinkinder in einem „Luftballonbad“ unterwegs sind und Mutter oder Vater am Rand zuschauen, sind bei den Kindern immer Ausflüge von den Eltern in die Ballons hinein und wieder zurück zu beobachten. Bei diesen Ausflügen zeigten sich zwei erstaunliche Phänomene: Zum einen waren alle Kinder zum Zeitpunkt ihres weitesten Abstands zu Vater oder Mutter besonders schnell. Als wenn ein Bewegungsimpuls durch sie hindurch ging, sich auf den Rückweg zu machen. Zum zweiten waren sie zum Zeitpunkt der Hälfte der Zeit des Ausflugs besonders langsam. Wie ein Innehalten und Erkennen, dass dies genau die Hälfte der Zeit war, bis sie wieder zurück bei ihrer Bezugsperson sein wollten. Die zweite Ausflugshälfte dauerte dann haargenau so lange wie die erste – unabhängig davon, wie weit sie entfernt waren und ob der weiteste Abstand schon da war oder noch kam. Wie ein inneres Wissen über Raum und Zeit in einer Verbindung zwischen Eltern und Kind.
Neugeborene
Daraufhin untersuchten wir die Spontanbewegungen der Neugeborenen auf vergleichbare Weise: Wenn Hand- und Fußbewegungen jeweils einzeln als Ausflüge vom Körperzentrum betrachtet werden, offenbart sich das gleiche Phänomen wie bei den Ausflügen der Kleinkinder bezüglich ihrer Eltern: Hände und Füße sind beim weitesten Abstand besonders schnell und bei der Hälfte der Zeit besonders langsam. Was die Neugeborenen von ihren Händen und Füßen in Bezug zu ihrem Körperzentrum in ihrem „atmenden Harmonie-Raum“ erfahren hatten, zeigte sich auf die gleiche Weise bei Kleinkindern in Bezug zu ihrem Elternteil wieder. Das bedeutet, dass es einen vergleichbaren gemeinsamen bewegten Raum um Kind und Eltern gibt.
Referenzen und mehr dazu finden Sie in den Artikeln "Wie wogende Wellen", "Übereinstimmung und Neugier..." und im letzten Teil von "Von der Empfängnis bis zur Geburt" unter dem Menüpunkt Artikel.